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Texte 2016

Der Alien mit den Staubtränen
Lux Haimerl (8 Jahre), München – Junior-THEO
Ich gehe in den Wald, um mich auf meine Lichtung zu legen. Dort denke ich nach und schaue ganz tief in die Wiese hinein:
Was träumen eigentlich Grashüpfer? Ist für die Ameisen die Wiese ein Wald? Zerfallen wir wirklich zu Staub?
Langsam schlafe ich ein.
Als ich meine Augen öffne, sehe ich ein riesiges Raumschiff in den Wolken über den Bäumen verschwinden.
Die ganze Lichtung ist voll von rotem Licht. Violetter Schleim schlabbert über meine Wiese. Die Spitzen der Bäume glitzern wie gefroren. Grüne Eiszapfen hängen von den Ästen der Bäume herab. An meinen Haaren baumeln kleine weiße Kristalle. Meine Beine sind von eisigen Klopsen umwickelt und wie zusammengebunden.
Ich hüpfe auf dem violetten Glibber herum und fliege 10 Meter in die Höhe.
Das beste Trampolin, das ich je gesehen habe!
Ich höre ein piepsiges Wimmern. Woher kommt es nur?
Ich hüpfe 10 Meter hoch, lande auf einem Baum. Ich hüpfe 5 Meter runter und lande auf dem Jägersitz. Ich hüpfe zu dem Busch, aus dem das Gepiepse kommt. Dort schiebe ich die Blätter auseinander und sehe ein oranges Wesen mit Riesenhänden, einem kleinen Kopf, langen Beinen und großen Füßen. Es sitzt in einem Staubberg.
Das Wesen schreit laut, als es mich sieht. Also, so schlimm sehe ich auch wieder nicht aus!
„Wie heißt du?“, frage ich. Da antwortet das Wesen „Dusti“ und klettert aus dem Staub. Der Alien versteht mich also.
„Ich bin Lu. Und wie´s ausschaut, haben deine Kumpanen aus dem Weltall dich vergessen. Du kannst bei uns wohnen. Aber meine Eltern dürfen nix von dir wissen. Also spar dir das lila Geglibber!“
Dusti und ich gehen nach Hause.
Aber überall wo wir hinkommen, breitet sich der lila Schleim aus. Der Alien kann`s wohl nicht ausschalten.
Als wir ankommen sage ich: „Warte hier draußen auf mich. Sei bloß leise und kein Gepiepse!“
Ich renne ins Haus und schnappe mir ´nen Müllsack – wegen des Schleims.
Als ich wieder rauskomme, sitzt der heulende Alien in einem Hügel aus Staub.
So was hab ich ja noch nie gesehen. Der heult ja Staubtränen! Hoffentlich hört er bald auf, sonst steht unser Haus in der Wüste.
„Steig rein, der Müllsack ist ne´ gute Tarnung.“
Ich gehe also mit dem Müllsack ins Haus hinein und in mein Zimmer hoch. Dort lege ich für Dusti eine Alien-Film-DVD ein, damit er sich nicht so einsam fühlt. Dann geh ich runter und hol was zum Futtern für uns beide: Chips für mich, eine Konservenbüchse Pfirsiche – passend zur Hautfarbe – für den Alien.
Ich höre ein Klirren.
Als ich das Zimmer betrete, sehe ich Dusti in seiner Mülltüte vor der Glotze sitzen. Seine Windel ist undicht. Der lila Glibber kommt schon oben raus. Und er heult schon wieder Staubtränen. Er hat die Glasscheibe des Fernsehers kaputtgeschlagen. Er hat Heimweh und wollte zu seinen Freunden in den Fernseher krabbeln.
Es wird Nacht. Wir legen uns hin, aber neben mir staubt es ziemlich. Dusti heult und heult.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, steht mir der Staub schon bis zum Hals. Ich kämpfe mich zur Tür, die steckt aber im meterhohen Staub fest. Das Fenster ist der einzige Ausweg. Mir bleibt nur die Mülltüte mit dem lila Glibber. Ich kippe das lila Zeug aus dem Fenster und springe hinterher. Sofort werde ich aufs Dach geschleudert. Dusti schwebt währenddessen um meinen Kopf.
Lu fragt: „Seit wann kannst du denn eigentlich schweben?“
Dusti antwortet: „Das ist die Morgengymnastik, die wir auf unserem Planeten machen. Ich will nach Hause.“
„Wie könntest du denn nach Hause kommen?“, frage ich.
„Ich habe gehört, dass uns ein bestimmtes Staubkorn immer, wenn wir an einem Ort sind, an dem wir nicht sein wollen, nach Hause bringt. Wo dieses Korn ist, weiß ich leider nicht. Man muss es einatmen und wird dann nach Hause zurück gebeamt“, erklärt Dusti.
Den ganzen Tag wühlen wir uns durch Dustis Staub. Dusti atmet ein und wieder aus. Er bleibt da, niest und glibbert mein Zimmer voll.
Abends ist Dusti ganz verschrumpelt und unser Haus ist in einem hohen Sandhaufen verschwunden.
Nur noch das Dach und der Kamin sind zu sehen. Wir klettern aus dem Kamin und rutschen das Dach hinunter.
Dusti will zu meiner Lichtung gehen. Er hat so Heimweh. Wie gehen durch den Wald. Auf der Lichtung setzen wir uns auf den Jägersitz und schauen in den Sternenhimmel. Dusti sieht seinen Planeten und seine Freunde.Da weint er eine echte, nasse Träne. In ihr ist ein Staubkorn. Es schimmert im Mondlicht.
Dusti jubelt „Juhu!!!!!“ und nimmt seine Träne und sagt zu mir:
„Tschüss, Lu. Auf irgendwann! Komm mich besuchen!“
Mir war zum Heulen, zwar keine Staubtränen, aber so was Ähnliches.
„Tschüss Dusti“.
„Tschüss, Lu“.
Und er atmet das Staubkorn ein und schwebt in der Dunkelheit davon.
Ich sitze noch lange auf meiner Lichtung und denke an Dusti. Als ich in den Sternenhimmel schaue, blinkt ein Stern leuchtend auf. Das habe ich von ihm gelernt:
Manchmal steckt die Lösung eines Problems in einem selbst.
Gedächtnisstörung
Ema Mezihoráková (12 Jahre), Berlin – Lyrik
in meinem Kopf

haben sich Käfer gefressen

ist Staub

 

ist Staub im Kopf

 

weiss nicht wer du bist

weiss nichts

(mehr.)

nur deine Augen sehe ich noch

 

im Kopf Staub

ist

so schnell vorbei…

Erinnerung

nichts

(mehr.)
Balthasars Reise
Lilly Beyer (12 Jahre), Sommerschenburg – Prosa (10-12)
Balthasars Schuppen glänzten im Mondlicht. Er schaute nach unten. Nichts als Wasser. Seit Tagen flog er nun schon über das große Wasser. Immer weiter nach Osten. Doch selbst so ausdauernde Drachen wie er, halten so etwas nicht ewig aus. In seinem Rudel war er der Stärkste gewesen. Deshalb hatte sein Anführer, Sirius, ihn losgeschickt, um den mächtigen Zauberer zu finden. Der Zauberer, der diese Krankheit wieder heilen wird. Vor ein paar Sonnen fing es an. Als Milan, einer der ältesten und weisesten Drachen, von der Jagd wiederkam, waren seine Schuppen plötzlich matt und gräulich. Zuerst merkte niemand, dass er krank war.

Doch dann ging es ihm auf einmal schlechter und seine einst so smaragdgrünen Schuppen wurden schnell grau. Dann, als der Mond am höchsten stand, zerfiel er vor den Augen des Rudels zu Staub. Ab diesem Zeitpunk begann die Krankheit sich auszubreiten. Zuerst erwischte sie Samira, dann Terog und jetzt Carlin. Balthasar schnaubte. Er hatte genug von dieser Krankheit. Selbst die Schuppen seines Anführers sahen schon matt aus. Noch einmal schaute er verzweifelt nach unten. Doch plötzlich sah er dort hinten etwas. Im Mondschein konnte er die Umrisse einer kleinen Insel ausmachen. Balthasar nahm seine ganze Kraft zusammen, um dorthin zufliegen. Es war mehr ein großer Felsen als eine Insel. Doch sie gab ihm so viel Hoffnung. Unsanft landete er auf einem Felsvorsprung. Seine Flügel schmerzten, er hatte Hunger und Durst. Am liebsten hätte er sich hingelegt und ausgeruht. Aber nun musste er zuerst die Insel absuchen, denn sein Rudel brauchte ihn. Plötzlich erklang eine helle Stimme hinter ihm. ,,Entschuldigen Sie, Herr, ähm, Drache, würden sie einen Schritt nach links gehen?” Erschrocken drehte sich Balthasar um und blickte in das Gesicht eines Wesens, das er noch nie zuvor gesehen hatte. Es hatte die Gestalt einer Elfe, war allerdings größer und besaß keine Flügel. Stattdessen trug es einen kleinen Korb. Seine großen blauen Augen blickten ihn erwartungsvoll an. Er antwortete mit seiner rauen Stimme: ,,Ich bin Balthasar und suche den mächtigen Zauberer.” Es tat gut, nach so langer Zeit wieder mit jemandem zu reden.

,,Ich fürchte das geht nicht.” Verstand dieses Wesen etwa nicht, wie wichtig das war? ,,Es ist aber dringend”, fügte er hinzu. Es seufzte: ,,Der Zauberer Merlin weilt schon seit vielen Jahren nicht mehr unter uns. Ich habe seinen Platz eingenommen. Ich bin die Magierin Laura.”

Dabei strich sie sich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht. Nein! Das durfte nicht sein.

Der Zauberer war seine letzte Hoffnung gewesen. Sein Rudel hatte ihm vertraut. Doch nun würde er sie enttäuschen, wenn er zurückkehrte. Er fühlte sich jetzt schon zu schwach, wahrscheinlich würde er noch nicht einmal zuhause ankommen. Mutlos sank er zu Boden. ,,Ist alles in Ordnung?” Balthasar hatte die Hexe schon fast vergessen. Vielleicht konnte sie ihm helfen. Vielleicht würde dann alles wieder gut werden. Einen Versuch war es wert. ,,Du weißt nicht zufällig, wie man eine Krankheit heilt, bei der alle Lebewesen zu Staub zerfallen?”, fragte er und blickte sie hoffnungsvoll an. ,,Oh, das klingt nach einem ernsten Problem. Am besten ich schaue im Buch nach. Komm mit!”, meinte sie und drehte sich sogleich um. Nach kurzem Überlegen folgte Balthasar ihr. ,,Eigentlich wollte ich ein paar Kräuter für meinen Tee sammeln, aber es passiert ja nicht alle Tage, dass ein wildfremder Drache einem vor die Füße fliegt”, plapperte Laura munter los, während sie um den riesigen Felsen herum kraxelten.

,,Was ist das eigentlich für ein Buch?”, wollte er wissen. ,,Du meinst das Buch, in dem vielleicht eine Heilung gegen diese Krankheit beschrieben wird?” Obwohl das ,,vielleicht” in ihrem Satz ihn ein wenig entmutigte, nickte er erwartungsvoll. ,,Das ist ein uraltes Buch. Ziemlich schwer und groß. Es wurde von den Zauberern und Hexen vor mir verfasst und vervollständigt. Zuletzt schrieb Merlin etwas hinein. Er war ein sehr mächtiger Zauberer”, erklärte sie ihm. ,,Und bist du auch eine mächtige Hexe?”, fragte er weiter. ,,Erstens bin ich keine Hexe, sondern eine Magierin und zweitens kann ich das zwar nur subjektiv beurteilen, aber ich denke schon”, antwortete sie. Sie schwiegen. ,,So da sind wir schon”, verkündete Laura.

Vor ihnen befand sich eine große Holztür, die in die Felswand eingelassen war. Sie war so riesig, dass sogar Balthasar problemlos hindurch gehen konnte. Bei genauerem Hinsehen erkannte er kleine Schnitzereien. Laura öffnete die schwere Tür problemlos. Zum Vorschein kam ein runder Raum, der schon fast einem Saal glich. Der Fußboden und die Wände bestanden aus dunklem Stein. Die einzigen Lichtquellen waren Fackeln an den Wänden und ein offenes Feuer gegenüber der Tür. Über dem Feuer dampfte etwas in einem großen Kessel und daneben standen ein Schreibtisch und ein Stuhl. Es roch angenehm nach Lavendel. Das lag wohl an den vielen Kräutern, die neben ebenso vielen Büchern in kleinen Aushöhlungen der Wände lagen. ,,Ich würde dir Tee anbieten, aber leider fiel ein Drache vom Himmel, als ich Kräuter suchen wollte”, scherzte Laura. ,,Und mein Bett ist zu klein für dich”, sie deutete auf ihren, mit Heu und Stoff ausgepolsterten, Schlafplatz, ,,Sonst würde ich dir eine Sitzgelegenheit anbieten.” ,,Ist nicht so schlimm. In der Mitte des Raumes ist genug Platz”, meinte Balthasar.

Laura lächelte und ging zu ihrem Schreibtisch, während Balthasar sich hinsetzte. Es war angenehm warm und der Lavendelgeruch machte ihn schläfrig. ,,Hier ich hab’ es!”, rief Laura plötzlich und lief zu Balthasar. Dabei hielt sie ein Buch mit dunklem Ledereinband in der Hand. Sie setzte sich neben Balthasar schlug das Buch auf und begann zu lesen. Doch mit jeder Sekunde verfinsterte sich ihre Miene. Bis sie schließlich Balthasar anschaute. ,,Es gibt kein Heilmittel”, flüsterte sie. ,,Was?”, fragte er. ,,Es gibt kein Heilmittel”, wiederholte sie etwas lauter. Balthasar brauchte einige Sekunden, um Lauras Worte zu realisieren. ,,Doch, gibt es!”, sagte er entschieden. ,,Nein”, widersprach sie leise. ,,Es tut mir leid”, fügte sie hinzu.

Nun wurde Balthasar wütend. ,,Das stimmt nicht. Ich bin so lange über das Wasser geflogen, ich habe nichts gegessen, habe nicht geschlafen. Ich habe mein Rudel allein gelassen, um das Gegenmittel zu finden und du sagst mir, dass es keins gibt?” Er brüllte schon fast. Nun las Laura vor: „Heute ist ein Elf zu mir gekommen. Er meinte, es sei eine Krankheit in seinem Dorf ausgebrochen und sie hätten ihn losgeschickt, um Medizin zu holen. Alle Erkrankten würden zuerst schwächer werden und dann zu Staub zerfallen. Wir suchten gemeinsam nach einem Gegenmittel, doch wir konnten keines finden. Diese Krankheit ist unheilbar. Gezeichnet Merlin.” Balthasar sank zu Boden. Alles war umsonst gewesen. Es gab keine Hoffnung mehr. „Entschuldigung”, sagte er zu Laura. „Ist schon gut.” Sie schwiegen. Langsam begann sich alles um Balthasar zu drehen und er schloss die Augen. Plötzlich durchschnitt Lauras Stimme die Stille: „Weißt du, ich habe einmal von einer Legende gehört. Es heißt, es gibt sehr viele Welten. Und wenn man in einer Welt stirbt, wird man in einer anderen wiedergeboren. In dieser Welt bist du dann ein anderes Wesen.” Er öffnete die Augen. „Glaubst du daran?”, fragte er. „Ja”, antwortete sie. Balthasar schloss für ein paar Sekunden die Augen. Doch als er sie öffnete, musste er blinzeln, um sich an das Licht zu gewöhnen. Er lag auf einem hölzernen Untergrund. Um ihn herum befanden sich graue Steine. Plötzlich hörte er Stimmen: ,,Jonas, wischst du bitte den Staub vom Tisch?“ „Ja, mach ich schon.“ Dann wurde Balthasar weggeschleudert.
STAUB
Rosa Engelhardt (14 Jahre), Mannheim – Prosa (13-15)
19.März

Steffen, Josepha und ich essen beim Asiaten. Steffen hat das Restaurant wegen der Frühlingsrollen empfohlen, von denen er schwärmt. Ich bin eigentlich nur wegen der Essstäbchen mitgekommen. Habe, damit es sich lohnt, gleich vierzehn Päckchen eingesteckt. Ich glaube, der Kellner hat es gemerkt. Gesagt hat er nichts.

Später habe ich die Stäbchen einsortiert. Sie sehen aus wie Stäbchen. Wie alle anderen auch (eintausendvierundzwanzig). Aber die Verpackung gefällt mir. Weiß mit schwarzen Ranken und einem roten Drachen. Sonst sind da immer nur Schriftzeichen drauf.

21.März

Neuanschaffung: Christbaumkugeln (einundzwanzig, im Ausverkauf).

22.März

Isa ruft an. Ich finde das Telefon nicht.

25.März

Die Wolken sehen schön aus. Foto gemacht und an die Pinnwand gehängt. Das habe ich auch der Frau erzählt, die heute wieder kam. Sie kommt inzwischen alle zwei Tage, aber nicht immer in die Wohnung. Wir treffen uns oft auch draußen, im Park, denn sie sagt, da wäre es schlicht und einfach ordentlicher. Das finde ich nicht, weil überall Blätter liegen (vom letzten Herbst) und Bierflaschen (vielleicht auch vom letzten Herbst). Ich habe ihr die Schneeglöckchen auf der Wiese gezeigt. Sie hat mich angesehen und gesagt: „Willst du die auch abreißen und mitnehmen?“, und ich habe nein gesagt und sie hat nur genickt. Vielsagend genickt und ich wusste nicht, was das heißen sollte, das Nicken. Aber das weiß man ganz oft nicht, bei ihr. Dann ist sie noch mit reingekommen und ich habe ihr meine Pinnwand gezeigt, wo rechts die Fotos hängen, in der Mitte oben die Kassenbons (zweihundertvierzehn) und darunter die Kaugummipapiere (sechshundertachtzig) und ganz links die Eintrittskarten (hundertvierundneunzig, gefundene und eigene), und ihr gezeigt, was für ein schönes Muster das ergibt, das Weiß von den Kassenbons und das Blau und Silbern von den Kaugummipapierchen und das Bunt der Eintrittskarten, aber sie hat sich nur für die beiden Postkarten interessiert, die am Rand der Pinnwand pinnen. Die eine ist von den Azoren, die andere vom Dresdner Striezelmarkt. Sie hat mich gefragt, von wem die Karten sind und ich habe geantwortet, dass ich es nicht weiß. Und das stimmt ja auch. Sie hat wieder nur vielsagend genickt. Dann ist sie gegangen.

26.März

Ich habe keinen Mülleimer.


29.März

Die Frau war heute nur sehr kurz da. Dann hat mich Marina besucht. Als sie zur Toilette wollte, ist sie über den Karton mit Druckerpapier gestolpert. Ich habe keinen Drucker. Später habe ich ihr die Pinnwand gezeigt und sie hat nur gesagt: „Wo ist die Pinnwand?“ „Na da!“, habe ich gesagt und raufgezeigt und sie hat nur den Kopf geschüttelt und gemurmelt, dass man die Pinnwand vor lauter „Klumbatsch“ gar nicht sehen könnte. Ich habe nur „Ja.“ gesagt und sie in die Küche geführt und ihr einen Tee gemacht.

„Welchen Tee willst du?“

„Was gibt es denn?“

„Alles.“

„Hm.“

„Wirklich!“

„Schwarzen.“

„Gut.“

„Ohne Zucker.“

„Ich weiß.“

Aber sie hat den Tee nicht getrunken und immer nur auf die Vorhänge gestarrt. „Es ist so dunkel.“, hat sie gesagt, „Du brauchst hellere Vorhänge.“ Ich habe sie nicht verstanden, denn die Vorhänge sind orange. „Sie sind ganz grau.“ „Orange!“ „Das ist Staub.“ Dann hat sie geseufzt, ist aufgestanden und gegangen. Auf dem Weg zur Tür ist sie auf mein Domino-Labyrinth getreten, aber sie hat es nicht gemerkt.

30.März

Domino-Labyrinth wieder aufgebaut bis vier Uhr nachts. Ist immer wieder umgefallen. Meine Hände zittern.

31.März

Großes Haupt

Kleiner Mut

Kein Klamauk

Sonnenhut

Habe das Gedicht der Frau vorgelesen und wollte von ihr wissen, ob sie die letzte Zeile gelungen findet oder nicht, aber sie hat mich nur angesehen und gesagt: „Du schreibst?“ Diesmal habe ich vielsagend genickt und dann hat sie vielsagend genickt und es war ein Einverständnis aus vielsagendem Nicken, wie ein geheimer Code. Sie hat etwas aufgeschrieben in ihrem Notizblock. Sie hatte eine schöne Schrift. „Sonnenhut passt nicht, oder?“ Sie hat gelacht. „Nein.“ Ich nickte, diesmal wissend. Sie lacht immer noch.

17.April

Wiese im Park. Die Schneeglöckchen sind weg.

19.April

Die Frau kommt nicht mehr. Ich sehe die Pinnwand nicht mehr. Das Muster ist auch weg. Das Weiß von den Kassenbons und das Blau und Silbern der Kaugummipapierchen und das Bunt der Eintrittskarten ist jetzt alles Grau. Alles verstaubt. Ich hasse Putzen.
Oma ist tot
Mara Spiekenheuer (18 Jahre), Soest – Prosa (16-18)
Greta war eine schöne Frau und Heinrich hat oft erzählt, wie sie sich kennen lernten. Irgendwann in der Schule, vielleicht in der achten Klasse, man hatte ihm nicht oft zugehört.

Vor sechs Tagen hat Heinrich aufgehört zu reden. Zumindest redet er nicht mehr viel. Greta ist gestorben. Jetzt hört man Heinrich zu, aber er hat keine Lust mehr zu erzählen, wie sehr er Greta liebt. Er denkt liebt und sagt es nicht und die Welt um ihn herum redet im Präteritum.

Die Welt redet und Heinrich lebt. Das Haus ist groß und der Platz schreit und dann hält Heinrich sich die Ohren zu.

Nach der Beerdigung wollen die Kinder mit Heinrich reden. Über den Platz und wie viel wert der ist und Heinrich denkt, dass sie nicht verstehen. Und dann sagt er, es sei in Ordnung und drei Wochen später packt er seine Sachen (so viele Sachen, wie in zwei Koffer passen). Er weiß, dass danach die Kinder kommen und einen Container bestellen und vierundfünfzig Jahre Leben wegschmeißen.

Die Tochter fährt ihn in ein Haus im Wald, voller alter Menschen und er erinnert sich an Greta und wie sie immer über alte Eheleute gelacht hat, wie sie an hässlichen Holztischen sitzen und in ihrem Kuchen herumstochern. Er isst seinen Kuchen und vermisst Greta.

Die Kinder verkaufen das Haus und Heinrich erfährt es zwei Monate später. Er fragt, ob sie ihm etwas bringen könnten. Ja. Natürlich. Jederzeit. Er solle anrufen und sagen, was er wolle.

Er ruft an und spricht mit dem Anrufbeantworter und die Welt ist leise geworden.

Der erste Atzt hatte Greta und ihm erzählt, dass sie Parkinson habe. Erst hatten sie geweint. Dann meinte der zweite Arzt nein. Und der dritte Arzt meinte auch nein und der erste meinte, er habe sich geirrt und Heinrich und Greta freuten sich. Und dann sagte der Arzt, dass sie sich nicht freuen sollten, denn für Parkinson habe man Tabletten und dann starb Greta und niemand wusste, woran.

Die Kinder kommen nicht mehr oft vorbei und Heinrich will nicht mehr fragen, ob sie ihm etwas aus dem Haus mitbringen, wahrscheinlich haben sie es weggeworfen und trauen nicht, es ihm zu sagen.

Heinrich hat Geburtstag. Die Kinder kommen in das kleine Zimmer und dann lachen sie über das Haus. Über ihr Haus und wie verstaubt alles war. Wie dreckig die Küche war. Da sei ein Kaffeefilter gewesen, der lebte. Und Heinrich denkt an die Zeit, in der Greta schwach war und keine Tabletten ihr helfen konnten und er keine Zeit hatte, sich um den Dreck im Haus zu scheren. Und er hasst sie. Und dann gehen sie und kommen nicht wieder.

Nach der Beerdigung wurde sein Sohn gefragt, warum er nicht zur Arbeit gekommen sei. „Oma ist tot.“ Und alle nickten betroffen.